Weihnachtsgeschichte 2016 von Gabriele Gerlach

 

 

 

Der geheimnisvolle Briefkasten

 

Samy, der Postangestellte, drehte seine übliche Runde, von Briefkasten zu Briefkasten. In dieser ländlichen Gegend zog sich das schon hin – ganz besonders im Winter, bei Eis und Schnee. Doch Samy fuhr gerne über die Dörfer. Er liebte es, in seinem alten Postauto über holprige Landstraßen zu tuckern, vorbei an Kuhweiden, entlang kleiner Bäche, oder mitten durch den Wald. In der Großstadt hatten seine Kollegen viel mehr Stress – zumindest fand Samy das …

 

Auf seiner Tour gab es sogar einen abgelegenen Postkasten, in den fast nie Post eingeworfen wurde. Samy hätte diese Information weitergeben sollen, damit der Postkasten geschlossen wird, aber das wollte er nicht. Dort wo der Postkasten stand, gab es früher ein schönes, gemütliches  Gasthaus mit einer jahrhundertealten Geschichte. Das Haus war einst eine Poststation gewesen. Samy stellte sich immer vor, wie dort die Postkutschen ankamen, Reisende ausstiegen, um sich in der Schenke zu stärken, um Neuigkeiten auszutauschen und ein Nachtlager zu bekommen. Die Poststation wurde geschlossen, doch das Gasthaus blieb noch für lange Zeit. Vor zwei Jahren war es schließlich abgerissen worden, das Gelände überwuchert. Nur die uralte dicke Mauer und der Briefkasten davor, die waren noch da – als wollten sie der Zeit trotzen. Doch heutzutage fuhr man daran vorbei. Der schöne kleine Parkplatz am Waldrand, vor dem ehemaligen Gasthaus, wurde kaum mehr benutzt, schon gar nicht von Kutschen. Aber einer hielt gerne dort an!

 

Samy kam heute nur langsam voran, denn es schneite schon seit Stunden in dicken Flocken. Da nutzte es auch nichts, dass der Schneeräumer am Morgen die Strecke abgefahren war und es lohnte wahrscheinlich nicht, die Poststation anzufahren. Samy behielt Recht, der Postkasten war leer. „Vielleicht sollten wir den Kasten an der Postschenke doch schließen lassen“, sagte Samys Kollege Pit, als er von seiner Tour zurück kam. „Das ist ein Umweg von mindestens 15 Minuten – bei schönem Wetter!“ Samy antwortete nicht, er brummte nur, was sein Kollege als Zustimmung wertete. Samy war keiner, der viele Worte machte. „Gut“, meinte Pit schließlich, „dann werde ich mich darum kümmern, dass das alte Ding im neuen Jahr abmontiert wird.“

 

Am 23. Dezember drehte Pit die Runde mit dem Postauto, um die Kästen zu leeren. Als er den Postkasten an der Postschenke öffnete, traute er seinen Augen nicht. Der Postkasten war voll mit Briefen. Pit starrte zuerst in den Postsack, in den die Briefe gefallen waren, dann bückte er sich langsam und nahm einige Briefe heraus. Alle waren korrekt frankiert. Auch die Adressen schienen in Ordnung zu sein … nur, der Absender war seltsam. Vom Weihnachtsmann, stand auf einigen – auf den anderen stand: vom Christkind. Pit musste lachen. Wer hatte sich den Scherz erlaubt? Aber egal, es war Weihnachten. Zurück auf dem Postamt stellten Pit und Samy fest, dass alle Empfänger in der näheren Umgebung wohnten, teils schon recht alt waren und nur mehr selten Post bekamen. Da wollte wohl ein Unbekannter zu Weihnachten etwas Freude verschenken. Doch zum Erstaunen für Pit ging es im neuen Jahr so weiter. Regelmäßig lagen Briefe im Postkasten. Mal waren sie von der guten Fee Lila, dann wieder vom Kobold Kratzkopf oder von dem Waldgeist Tanngrün. Die Empfänger der Briefe freuten sich immer so sehr, dass der Postbote schon mal einen Schmatzer auf die Wange bekam, wenn er die Post brachte, oder man drückte ihm einen selbstgebackenen Kuchen in die Hand. Auch Pit hatte viel Spaß daran, und hoffte, der geheimnisvolle Unbekannte möge noch lange weitermachen.

Und Samy ... ja, er hoffte das auch!

 

 

In diesem Sinne wünsche ich Allen

regelmäßig Post von lieben Menschen,

ein schönes Weihnachtsfest und ein friedliches Jahr 2017