Weihnachtssgeschichte 2019 von Gabriele Gerlach

 

         Der unfreiwillige Weihnachtsmann ! 

 

Raj hielt tapfer gegen den Dezembersturm an. Allerdings war das in diesem komischen, langen, roten Mantel gar nicht so leicht. Auch der üppige Bart stülpte sich ständig über sein Gesicht. Warum sich die Deutschen zu Weihnachten Schnee wünschten, konnte er nicht so recht nachvollziehen, angesichts der grauen matschigen Masse, die sich wie Schmierseife unter seinen Stiefeln anfühlte.

 

Das war heute aber nicht das Allerschlimmste. Raj ärgerte sich über sich selbst. Was für eine dumme Idee. Als sein Studienfreund Ben bettelte für ihn einzuspringen, hätte er Nein sagen können. Er war ein Gaststudent aus Indien und noch nicht mal Christ!  >>Bloß ein kurzes Gedicht aufsagen, fragen ob die Kinder brav waren, und die Geschenke austeilen.<<

Raj seufzte. Er hätte Nein sagen sollen. Doch Ben hatte Fieber. „Ist für die Kinder … und gut für dein Karma“, meinte der.

 

Die Kinder der ersten beiden Familien auf der Liste hatten ihn allerdings ziemlich verstört beäugt. „Verständlich, ich sehe ja auch nicht aus wie ein Weihnachtsmann“, murmelte er. Raj war sehr dunkelhäutig und sein holpriges Deutsch mit indischem Akzent verstärkte das ungewohnte Bild.

 

Raj stapfte über die Straße zu Bens Auto. Wenigstens muss ich nicht mit dem Schlitten fahren, dachte er und grinste. Er füllte den Sack mit den letzten Päckchen aus dem Kofferraum. Für die zwei Kinder von … ? Er sah auf die Liste: … von Familie Mai, … Birkenweg 7. Gut, die noch, und dann hatte er es geschafft. Raj freute sich schon auf seine Studentenbude und eine Tasse heißen Tee.

 

Der Wind war heftiger geworden und jetzt schneite es auch noch. Als Raj in den Birkenweg einbog, verhedderte sich etwas zwischen seinen Füßen. Es quietschte, die rote Mütze flog, der Sack mit den Geschenken schlitterte davon und der Weihnachtsmann lag im Schneematsch. Für einen winzigen Moment war Raj völlig verwirrt. Er hatte nicht bemerkt, dass eine Katze zwischen seinen Füßen hindurch gesaust war – und gerade eben, als er zeternd wieder auf die Beine kam, rettete sich eine panische Maus in den Sack mit den Geschenken. Als Raj seinen Mantel abklopfte, huschte auch die Katze in den Sack. Nichtsahnend hob Raj ihn auf und angelte nach seiner Mütze, die am Gartenzaun hängen geblieben war. Etwas lädiert und reichlich genervt setzte er seinen Weg fort.

 

Als Raj das Haus der Familie Mai betrat, staunte zur Abwechslung mal er. Es war eine chinesische Familie, die da vor ihm stand. Sie wollten eigentlich einen echten deutschen Weihnachtsmann haben und fingen herzhaft an zu lachen, als er sein Gedicht aufsagte. Aber die Kinder lachten wohl nicht nur über ihn, denn der Sack, den er neben sich abgestellt hatte, zappelte und miaute – dann guckte ein Katzenkopf heraus. Raj verstand gar nichts mehr. „Das ist die Minka von Tante Weber“, rief die Tochter der Familie begeistert. „Die wird sich freuen, dass der Weihnachtsmann ihre Katze wieder gefunden hat.“ Gleich darauf lief Herr Mai los, um das Ehepaar Weber zu holen. Das Glück war groß. Raj wurde herzlich umarmt. „Du hier bleiben. Mit uns und Weba feiern!“, sagte Herr Mai in einem grinsenden Befehlston. Und so wurde es für alle eine sehr fröhliche Weihnachtsfeier.  

 

Jaaa, … und das Mäuslein? Ich verrate es Euch: Es landete mitsamt dem Sack, dem Bart und dem Mantel im örtlichen Pfarramt und verbrachte dort gemütlich den Winter.

 

In diesem Sinn wünsche ich einen fröhlichen Weihnachtsabend

mit schönen Überraschungen, sowie friedliche Feiertage

und einen guten Start in das Jahr 2020 !

Herzlichst,  Gabriele Gerlach